Spätestens ab Ende der 1960er Jahre zeigen Schallplattenhüllen nicht mehr nur ein Foto der Band, der Interpretin oder des Sängers. Das Cover wird zur Leinwand für aufstrebende Pop Art- Künstler wie etwa Andy Warhol. Sie entdecken das Quadrat als optisches Experimentierfeld. Es wird zum künstlerischer Teil des Albumkonzepts.
Das einzige ostdeutsche Plattenlabel für Rock- und Popmusik heißt AMIGA. Manchmal gelingen auch hier kleine optische Meisterwerke. Sie belegen, wie auch beim Coverdesign internationale Trends nicht aufzuhalten sind. "Amiga trifft Warhol " zeigt augenzwinkernd die Brüder und Schwestern aus Ost und West - eigene Fundstücke hier melden.
Nico, Jahrgang 1938, geboren in Köln, lebt als Kind für einige Zeit in Lübbenau/Spreewald, damals als Christa Päffgen. Ihr Album "The Marble Index" entstand 1968, bereits nach der berühmten Warhol-LP "The Velvet Underground & Nico". Aus dem Berliner Model wird in den 1960ern ein New Yorker Factory Star - und Vorbild für nachfolgende Rock-Pop-Künstler-innen. Das zentralperspektivisch angelegte Porträt schoss Guy Webster.
Die Frontfrau der Berliner Rockband Silly, Tamara Danz, füllt das Cover - ganz ähnlich wie 18 Jahre zuvor Nico. Selbst musikalisch sind beide Sänge-rinnen nicht aus völlig unterschied-lichen Welten. Avantgardistische Experimentierfreude findet sich auch bei der ostdeutschen Gruppe um die charismatische Danz. Das Coverporträt stammt von der renommierten Foto-grafin Ute Mahler. Nach dem Mauerfall gründet sie die Agentur Ostkreuz mit.
1971 erschien eines der besten Alben der Rolling Stones - "Sticky Fingers". Ledendär ist das von Andy Warhol eigens entworfene Cover. Es beinhaltet in der Originalversion einen echten Reißverschluss (Zipper) für den Hosenschlitz (was engstehenden Nachbar-Platten im Regal oft nicht so gut bekam). Hinter dem Zipper verbirgt sich aufgedruckte weiße Warhol-Unterwäsche.
Musikalisch gewiss ein paar Klassen unter den Stones (außer man ist Puhdys-Fan). Aber beim Album-Cover lohnt der Vergleich. Immerhin macht die Rock-Band 1983 Platz für ein Werk des Dresdners Jürgen Haufe. Wäre einer der drei Jackett-Knöpfe echt gewesen - das elfte Puhdys-LP-Cover hätte heute bei Sammlern womöglich ähnlichen Wert wie das Zipper-Cover der Stones.
In der DDR wird eine Original-Stones-LP mit dem Warhol-Zipper bis zum Mauerfall wie Gold gehandelt. Es gibt sie nur per Westpaket oder als Mitbringsel - wenn die Ost-Grenzer einen guten Tag haben. Denn West-Alben können auch konfisziert werden.
Genesis veröffentlicht das Album "Selling England By The Pound" im Jahr 1973. Grundlage für das Covermotiv ist ein Bild namens "The Dream" von der britischen Künstlerin Betty Swanwick (1915 bis 1989). Für die LP-Hülle wird das Gemälde nachträglich um den grünen Rasenmäher ergänzt. Denn für ein exklusives Cover-Bild habe sie keine Zeit gehabt, heißt es. Im Song "I Know What I Like" geht's um einen jungen Mann, der zum Glück nur eins braucht: Rasen-mähen.
Die AMIGA-Lizenzplatte mit dem Titel "Genesis" erscheint 1981 in der DDR: eine Zusammenstellung bisheriger Hits, darunter "Follow You, Follow Me". Doch keines der bis dahin existierenden Ori-ginalcover-Motive ist vorn drauf zu sehen - sondern eine freizügig lyrisch und vieldeutige Neuschöpfung des DDR-Cover-Gestalters Karl Groß (ganz unten im Motiv von ihm signiert). Von allen Genesis-Originalcovern ist wohl das Swanwick-Motiv eine Art Stil- und Stimmungsvorbild gewesen.
Pink Floyds wegweisendes Rekordal-bum "The Darkside Of The Moon" erscheint 1973. Das nicht minder berühmte Cover konzipiert George Hardie vom einflussreichen Hipgnosis-Designstudio in London. Vorbild für das hier mittig platzierte, magische lichtbrechende Prisma und den Licht-strahl, der auf dem Rest der Plattenhülle zur Herzfrequenzkurve wird, ist ein farbiges Beethoven-Schellack-Cover von 1942!
Sowas könnte mit dem DDR-Slogan "Überholen ohne einzuholen" gemeint gewesen sein: Nein, auf der 1983 erschienenen Synthesizer-LP von Reinhard Lakomy ist kein abgekupfertes Prisma zu sehen, sondern ein sogenanntes Penrose-Dreieck- das heißt: eine in der Wirklichkeit unmögliche Figur. Dieser bedient sich der Grafiker Klaus Vonderwerth. Aber schaut selbst! Die Ähnlichkeit zum Pink Floyd-Cover ist da, oder?
AMIGA-Plattenhüllen produziert der VEB VMW "Ernst Thälmann" in seinem Werk Gotha-Druck - und zwar korrekt nach TGL 10609. VMW steht übrigens für Ver-packungsmittelwerke, auch zuständig für Mehltüten und braunes Papierklebeband . Vier Farben müssen für fast alle Cover reichen. Alles andere wäre Kapitalismus. Gearbeitet wird hundert Prozent analog, sprich: handwerklich. Fotonegativfilme von ORWO, Retuscheure in der Fabrik, Kratzmesser, Rasterfolie. Wer heute die bis 1990 entstandenen Cover betrachtet, muss das immer mit berücksichtigen.
Kraftwerks viertes Studioalbum heißt "Autobahn". Das Cover der 1974 beim britischen Label Vertigo veröffent-lichten bundesdeutschen Elektropop-Platte zeigt dieses schlichte, zweifarbige Verkehrszeichenmotiv. Die deutsche Ausgabe bedient sich eines anderen Motivs - der Blick aus dem Auto raus.
Die ostdeutsche Punkband Feeling B bringt bei AMIGA 1989 die LP "Hea Hoa Hoa Hea Hea Hoa" heraus. Noch einige Zeit vor dem Mauerfall ziert das Album Platte das vieldeutige Fluchtweg-Zeichen. Die DDR-Zensur schwächelt bereits.
Deep Purple in Rock - Deep Purple im Fels. Das nehmen die fünf Musiker wörtlich und lassen sich, wie einst die großen US-Präsidenten am Mount Rushmore National Memorial, in Stein verewigen - zumindest auf dem Papier des Covers. Mit Erscheinen der Platte 1970 folgt der Durchbruch für Deep Purple. Sie gehören zu den Urvätern des Hard Rock und Heavy Metal.
Das AMIGA-Cover erinnert an den kambodschanischen Tempelturm von Bayon. Nach ihm benannten sich die ostdeutschen Musiker. Die Gesichtszüge stammen von den wichtigsten Bandmitgliedern. Christoph Theusner gründet die Instrumentalband mit Sonny Thet. Er ist in Kambodscha geboren und blieb nach seinem Musikstudium in der DDR.
Im Jahr 1972 erscheint dieses Doppel-album mit verschiedenen Künstlern, beispielsweise T. Rex, Alice Cooper oder John Cale. Für das Metal-Lettering-Design zeichnet ABC Letter Art verantwortlich.
So erfinderisch ist der Osten, wenn es nach Metal Lettering aussehen soll, aber die Mittel fehlen. Eine Rolle Alufolie aus dem Haushaltwarenladen und acht ausgeschnittene Pappbuchstaben - fertig ist der Cover-Look des Doppelalbums, u.a. mit Electra und Lift.